Die Herz-Kohärenz Atmung und ihr Nutzen
18.08.2019, Brunnen SZ
Es existieren viele Studien zu dem Thema “cardiac coherence”, alias Herz-Kohärenz.
Etwas vereinfacht ausgedrückt, auch für die Nicht-Wissenschaftler unter uns, bedeutet Herz-Kohärenz, dass der Herzrhythmus im Einklang ist mit den physiologischen Körpermechanismen einer Person und dazu eine gewisse Regelmässigkeit aufweist (der Herzrhythmus ist zum Beispiel im Einklang mit dem Atmungsrhythmus). Je tiefer der Wert der Herz-Kohärenz ist, um so mehr besteht das Risiko von kognitiven, emotionalen, oder physiologischen Schwierigkeiten während akuten oder chronischen Stressphasen.
Eine tägliche Routine zur Förderung der Herz-Kohärenz, z.B. mit der einfachen Atemtechnik, die im Video geschildert wird, kann während Veränderungszeiten für viele Menschen von Vorteil sein.
Hier folgend einige Studien zu diesem Thema. Das Paper von McCraty et al. (2014) ist eine gute wissenschaftliche Zusammenfassung über die Definition «Herz-Kohärenz» und über Anwendungsmöglichkeiten und Nutzen einer täglichen Praxis der Herz-Kohärenz-Atmung. Viele Studien haben versucht, die Verbindung zwischen Herz-Kohärenz und der Fähigkeit sich eigenständig physiologisch und emotional zu regulieren, zu positiver sozialer Interaktion und zu Mechanismen der Eigenresilienz herzustellen.
Kognitive Vorteile
Eine Studie, die kognitive Vorteile gezeigt hat, ist die von Llyoyd et al. (2010). Bei Studenten, die unter ADHD (attention deficit hyperactivity disorder) litten, wurden Verbesserungen bei ihren kognitiven Fähigkeiten beobachtet, wie z.B. Kurz- und Langzeitgedächtnis, sowie die Fähigkeit, auf etwas zu fokussieren. Auch das Verhalten der Studenten in der Schule und zu Hause zeigte eine Besserung. Eine andere Studie die kognitive Vorteile aufzeigen konnte, war die von Li. et al. (2013). Kampfpiloten profitierten unter Stress-Bedingungen von einer besseren Performance, wenn sie Herz-Kohärenz-Übungen praktizieren.
Physiologische Vorteile
Von einem physiologischen Standpunkt aus, seien die Studien von McCraty et al. (1998 und 2003) erwähnt. In der ersten Studie haben die Probanden eine Senkung ihres Kortisol-Spiegels innerhalb von 30 Tagen, dank der autoregulierenden Techniken, erzielt. In der zweiten Studie hingegen haben Bluthochdruck-Patienten, die Herz-Kohärenz Übungen praktizierten, eine stärkere Senkung des arteriellen Blutdrucks erreicht, als die Kontrollgruppe, die nur Medikamente einnahm. Sogar gesunde Menschen profitieren physiologisch von der Herz-Kohärenz. Es gibt dazu verschiedene Beispiele im Sport-Bereich. Deschodt-Arsac et al. (2018) zum Beispiel, haben den Trainingseffekt der Herz-Kohärenz Praxis bei Studenten der Sport-Fakultät analysiert. Die Gruppe, die regelmässig Herz-Kohärenz-Übungen durchführte, hatte am Ende der Studie geringere Werte von innerer Unruhe, als die Studenten in der Kontrollgruppe.
Emotionale Vorteile
Es existieren ausserdem verschiedene Studien, die einen Mehrwert der Herz-Kohärenz Praxis bei hochgradig gestressten oder traumatisierten Individuen dokumentieren. Hier folgend, möchte ich einige davon zitieren. Die erste Studie, die ich zitieren möchte, wurde mit Soldaten, die aus dem Irak zurückkamen und die unter PTSD (post traumatic symptom disorder) leiden, durchgeführt (Ginsberg et al., 2010). Zwei weitere Studien wurden mit einer Gruppe von Polizisten durchgeführt (McCraty and Atkinson, 2012; Weltmann et al., 2014). Den Soldaten hat die Studie geholfen, sich besser emotional selbst zu regulieren und auch verschiedene kognitive Aspekte konnten verbessert werden. Im Falle der Polizisten hingegen, hat die Selbstregulierung der Emotionen, als Antwort auf Stressoren auf der Arbeit und zu Hause, dazu geführt, dass negative Gefühle gemindert wurden. Bei den Ordnungshütern gab es auch weniger Depressionen und es wurde dafür vermehrt Zufriedenheit und Vitalität empfunden. Auch die familiären Beziehungen und die Kommunikation/Kooperation auf der Arbeit wurden subjektiv von den Polizisten als sich positiv entwickelt wahrgenommen.
Für viele Menschen ist das Wort “Trauma” zusammenhängend mit Episoden in denen das Individuum um seine psychische und/oder physische Unversehrtheit bangen musste. Die Definition ist korrekt, jedoch ist es die individuelle Perzeption des Einzelnen, dass ein Ereignis erst traumatisch werden lässt. Auch Ereignisse, die in den Augen anderer nicht als so lebensbedrohlich wahrgenommen werden, können durchaus für den Einzelnen eine traumatische Auswirkung haben. Oft denkt man zum Beispiel nicht daran, dass Traumata auch bei Neugeborenen oder Kleinkindern vorkommen können. Dies kann der Fall sein, wenn wiederholt keine angebrachte Antwort auf die ursprünglichen Bedürfnisse (Liebe, Essen usw.) der Neugeborenen/Kleinkindern gegeben wird. Es können zum Beispiel auch Traumata von den Eltern an die Kindern epigenetisch weitervererbt werden. Zum Beispiel, wenn die Eltern Krieg oder Misshandlungen erlebt haben, oder wenn sie selber Opfer von süchtigen Eltern zum Beispiel waren. Diese Art von Traumata werden transgenerationelle Traumata genannt. Einige von uns haben schon zumindest einmal unter einem Trauma in ihrem Leben gelitten und kennen somit die Erfahrung von Intrusionsgedanken oder überbordenden Emotionen, die in anscheinend völlig alltäglichen Situationen plötzlich vorkommen und in uns eine innere Unruhe und /oder Hypervigilanz auslösen. Das hindert uns im hier und jetzt zu leben, uns selbst zu regulieren, oder in angebrachter Art und Weise mit anderen Menschen zu interagieren.
Es ist seit längerem bekannt, dass die Amygdala eine wichtige Rolle in solchen Fällen spielt. Ihre Aktivität zu verringern, kann eine Verbesserung des Zustandes der traumatisierten Person hervorrufen. Heutzutage weiss man aber auch, dass Traumata mit der Unfähigkeit zur physiologischen Homöostase zurückzufinden korrelieren und dass PTSD eng verbunden ist mit der HRV (heart rate variability) und somit schlussendlich mit der Herz-Kohärenz (Keane et al., 1998 und Shah et al., 2013).
Vorteile in der Kohärenz einer sozialen Gruppe
Es besteht sogar die Hypothese, dass die Herz-Kohärenz eines Individuums, wenn im Einklang mit der Herz-Kohärenz der Menschen einer Gruppe, zu sozialer Kohärenz führen kann. Soziale Kohärenz (McCraty, 2017) wird definiert als eine harmonische Angleichung zwischen Personen, die ein Paar bilden, die in der gleichen Familien-Einheit leben, die eine kleine Gruppe bilden oder grössere Organisationen, in denen es ein Netzwerk an Beziehungen gibt zwischen den Individuen, die dieselben Interessen und /oder gemeinsame Ziele verfolgen. Ein hoher Grad an sozialer Kohärenz drückt sich in stabilen und harmonischen Beziehungen aus, die wiederum ein effizientes Nutzen der einzelnen Energien und der Kommunikation zur Folge haben. Dieses führt dann zu einer optimalen kollektiven Kohäsion und zur optimalen Ausführung von Aktionen. In anderen Worten, indem man die Individuen trainiert, ihre Herz-Kohärenz zu finden und zu erkennen, kann man die Synchronisierung der Herz-Kohärenz zwischen Individuen unterstützen und somit pro-soziale Verhaltensweisen wie Freundlichkeit und Kooperation fördern, die Kommunikation innerhalb der Einheit verbessern und negative Interaktionen vermindern.
Die Erforschung der Herz-Kohärenz und ihrer vielfältigen Effekte ist in stetiger Entwicklung. Es ist ein spannendes Konzept, das sich lohnt, noch intensiver durch breit angelegte Studien zu erforschen.
Wer sich für die Herz-Kohärenz-Atmung interessiert, anbei eine kleine Anleitung für die Übung, die im Video vorgestellt wurde.
- Sich möglichst bequem hinsetzen.
- Wenn man möchte, kann man sich während der Übung positive Gedanken in Erinnerung rufen und auf Herzhöhe visualisieren.
- So regelmässig wie möglich, jeweils 5 Sekunden lang einatmen.
- Dann wieder so regelmässig wie möglich, 5 Sekunden ausatmen.
- Atemrhythmus für 5 Minuten beibehalten.
- Konzentriert Euch auf den Atemrhythmus und auf die Gleichmässigkeit der Atmung.
Wem das schwer fällt, der kann eine der vielen Herz-Kohärenz Apps benutzen, die zum Teil auch gratis im Netz angeboten werden. - Oder wiederum schliesst die Augen und während der Einatmung, zeichnet mit einem Stift auf ein Blatt Papier eine Kurve nach oben (im Tempo des Einatmens) und während des Ausatmens eine Kurve nach unten. Während der 5 Minuten konstant atmen und gleichzeitig zeichnen. Man wird am Ende der Übung merken, dass die Kurven nach oben und unten gleichmässiger geworden sind.
Ich hoffe, der Artikel hat Euch gefallen, und wird Euch nützlich sein.
Herzlichen Dank für Euer Interesse
Corina
Schau dir hier mein Video an
Referenzen
Deschodt-Arsac V, Lalanne R, Spiluttini B, Bertin C, Arsac LM (2018). Effects of heart rate variability biofeedback training in athletes exposed to stress of university examinations. PLoS ONE 13 (7): e0201388. https://doi.org/10.1371/journal. pone.0201388
Ginsberg, J. P., Berry, M. E., and Powell, D. A. (2010). Cardiac coherence and PTSD in combat veterans. Altern. Ther. Health Med. 16, 52–60.
Keane, T. M., Kolb, L. C., Kaloupek, D. G., Orr, S. P., Blanchard, E. B., Thomas, R. G., et al. (1998). Utility of psychophysiological measurement in the diagnosis of posttraumatic stress disorder: results from a Department of Veterans Affairs Cooperative Study. J. Consult. Clin. Psychol. 66, 914–923. doi: 10.1037/0022- 006X.66.6.914
Li, W.-C. Chiu, F.-C., Kuo, Y.-S., and Wu, K.-J. (2013). “The investigation of visual attention and workload by experts and novices in the cockpit,” in Proceedings of the 10th International Conference on Engineering Psychology and Cognitive Ergonomics: Applications and Services, ed. D. Harris (Heidelberg: Springer Berlin), 167–176.
Lloyd, A., Brett, D., and Wesnes, K. (2010). Coherence training improves cognitive functions and behavior in children with ADHD. Altern. Ther. Health Med. 16, 34–42.
McCraty, R., and Atkinson, M. (2012). Resilence training program reduces physio- logical and psychological stress in police officers. Glob. Adv. Health Med. 1, 44–66. doi: 10.7453/gahmj.2012.1.5.013
McCraty, R., Atkinson, M., and Tomasino, D. (2003). Impact of a work- place stress reduction program on blood pressure and emotional health in hypertensive employees. J. Altern. Complement. Med. 9, 355–369. doi: 10.1089/107555303765551589
McCraty, R., Barrios-Choplin, B., Rozman, D., Atkinson, M., and Watkins, A. D. (1998). The impact of a new emotional self-management program on stress, emotions, heart rate variability, DHEA and cortisol. Integr. Physiol. Behav. Sci. 33, 151–170. doi: 10.1007/BF02688660
McCraty R. et al. (2014). Cardiac coherence, self-regulation, autonomic stability, and psychosocial well-being. Frontiers in Psychology/Psychology for Clinical Settings. September 2014, Volume 5, Article 1090.
McCraty R. (2017) New Frontiers in Heart Rate Variability and Social Coherence Research: Techniques, Technologies, and Implications for Improving Group Dynamics and Outcomes. Front. Public Health 5:267. doi: 10.3389/fpubh.2017.00267
Weltman, G., Lamon, J., Freedy, E., and Chartrand, D. (2014). Police department personnel stress resilience training: an institutional case study. Glob. Adv. Health Med. 3, 72–79. doi: 10.7453/gahmj.2014.015
Danksagung
Danke an Herrn R. Peruta für die Hilfe beim Videodreh.
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