Gedan­ken zum Resi­­li­enz-Vor­­­trag: «Resi­li­enz quo vadis?»

Vor ein paar Wochen hat­te ich das Glück für den Stu­den­ten-Ver­ein IUCIM an der Uni­ver­si­tät Luzern einen Vor­trag zu hal­ten. Die­se Koope­ra­ti­on hat mir sehr viel Spass berei­tet, denn es war für mich auch eine Mög­lich­keit, jun­gen Men­schen etwas wei­ter­zu­ge­ben, das mir von ver­schie­de­nen Per­so­nen in mei­nem Leben geschenkt wor­den ist: das Wis­sen und die Erfah­rung zum The­ma Resi­li­enz. Dan­ke noch­mals an Gia­da und Ste­fan für die tol­le Zusam­men­ar­beit und für Eure Offen­heit.

Im Fol­gen­den möch­te ich vor­stel­len, über was ich refe­riert habe.

● Was ist Resi­li­enz?
● Wie kann ich wis­sen, ob ich resi­li­ent bin?
● Wel­che Rol­le spielt Resi­li­enz im Leben von Stu­den­ten und spä­ter in Orga­ni­sa­tio­nen?
● Ist Resi­li­enz der “hei­li­ge Gral” zum “per­fek­ten” Men­schen?

Ich wer­de nun hier im Blog nicht die Geschich­te der Resi­li­enz und sei­ne Lehr­buch­de­fi­ni­tio­nen dekli­nie­ren, dafür gibt es genü­gend Bücher, aber für Inter­es­sier­te ein paar histo­ri­sche Hin­wei­se: Emmy Wer­ner und ihre Stu­die zu den Kin­dern auf Kau­ai, oder Aaron Anto­now­sky, und sei­ne Beob­ach­tun­gen zu den Holo­caust Über­le­ben­den (Sie­he z.B. Draht, 2016).

Resi­li­enz lässt sich gut mit einem prak­ti­schen Bei­spiel ver­an­schau­li­chen, wel­ches ich auch mei­ner Zuhö­rer­schaft an der Uni­ver­si­tät Luzern vor­ge­stellt habe. Es gibt eine Übung, die sehr prak­tisch ver­an­schau­licht, dass das Leben ein Mix aus gege­be­nen Fakten/Privilegien und eige­nen Fähig­kei­ten und Taten ist.

Als Neu­ge­bo­re­ne und Kin­der kön­nen wir uns nicht unse­re Eltern, unse­re Ange­hö­ri­gen, unse­ren sozia­len Sta­tus, unser Umfeld, unse­ren Gesund­heits­zu­stand oder die Gesell­schaft aus­su­chen, in der wir zu Welt kom­men. All die­se Fak­to­ren sind gege­ben und beru­hen nicht auf unse­ren Ver­dienst. Eini­ge haben mehr Glück als ande­re Men­schen: ergo star­ten sie mit mehr Pri­vi­le­gi­en (siche­res sozia­les und fami­liä­res Umfeld, finan­zi­ell abge­si­chert, frei zu ent­schei­den, gesund, sie müs­sen nicht früh Ver­ant­wor­tun­gen tra­gen usw.). Es gibt aber auch Men­schen, die mit weni­gen oder kei­nen Pri­vi­le­gi­en in ihrem Leben star­ten. Nun die ket­ze­ri­schen Fra­gen:

● Kön­nen die Men­schen, die ohne Pri­vi­le­gi­en ins Leben star­ten, genau­so erfolg­reich sein, wie die, die sie von Beginn an haben?
● Macht es Sinn, dass man für den Erfolg kämpft, auch wenn man einen schwe­ren Start hat­te?

Die zwei­te Fra­ge wür­den vie­le Men­schen mit einem kräf­ti­gen JA beant­wor­ten. Bei der ersten Fra­ge hin­ge­gen, kämen erste Zwei­fel auf. Aber war­um? Weil es davon abhängt, wie wir das Wort «Erfolg» defi­nie­ren, vom Kon­text und von den Fähig­kei­ten der Men­schen. Resi­li­enz ist nicht nur ein Aspekt oder der hei­li­ge Gral, son­dern es sind vie­le Qua­li­tä­ten von der Wider­stands­kraft, die man aufbringt/beweist, wenn sehr schwie­ri­ge Situa­tio­nen oder Ver­än­de­run­gen im eige­nen Leben ein­tref­fen. Und Erfolg — na ja, was ist denn eigent­lich Erfolg?

Jeder strebt kon­ti­nu­ier­lich nach mehr und manch­mal haben wir die Mög­lich­keit und das Glück Vie­les zu errei­chen. Wir errei­chen einen Master­ab­schluss, den ersten gut bezahl­ten Job, wir erar­bei­ten uns unse­re erste Füh­rungs­po­si­ti­on, wir seh­nen uns nach Sta­tus, Sicher­heit, Aner­ken­nung und/oder Macht. Wie füh­len wir uns aber, wenn wir all dies erreicht haben? Glück­li­cher? Zufrie­de­ner?
Der Mensch ver­weilt sel­ten im Moment, son­dern strebt kon­ti­nu­ier­lich nach mehr. Ich möch­te es an die­ser Stel­le euch über­las­sen, was für euch Erfolg bedeu­tet. Wann wart ihr glück­lich, zufrie­den, im Ein­klang mit euch selbst? Könn­te ich mit der Annah­me rich­tig lie­gen, dass eure Ant­wort etwas mit «Erfolg» zu tun haben könn­te?

Lasst mich noch­mals zu mei­nem Vor­trags­in­halt zurück­kom­men. Wir leben in einer VUKA Welt (das Akro­nym steht für Vola­ti­li­tät, Unsi­cher­heit, Kom­ple­xi­tät und Ambi­gui­tät). Das Leben, die Gesell­schaft und die Arbeits­welt wer­den immer weni­ger fass­bar, immer unsi­che­rer, kom­ple­xer und mehr­deu­ti­ger. Wir befin­den uns auto­ma­tisch immer häu­fi­ger in Situa­tio­nen, in wel­chen wir «volens oder nolens», Fähig­kei­ten an dem Tag legen müs­sen (z.B. Opti­mis­mus, Fle­xi­bi­li­tät, Krea­ti­vi­tät), die uns die­se Situa­tio­nen über­ste­hen las­sen. Wir alle haben unse­re eige­ne Form der Resi­li­enz und wir ler­nen kon­ti­nu­ier­lich neue Nuan­cen dazu. Wer sich dafür inter­es­siert sei auf dem BIG FIVE Per­sön­lich­keits­test zum Bei­spiel ver­wie­sen. Es leuch­tet ein, dass in so einer VUKA Welt Teams und Füh­rung eine wich­ti­ge Rol­le spie­len. Aus was sind Orga­ni­sa­tio­nen gemacht? Genau, die pri­mä­re Res­sour­ce sind Men­schen. Nun, die VUKA Welt ist eines der The­men, aber auch die Orga­ni­sa­ti­on sel­ber ent­wickelt sich immer wei­ter (Glasl & Lie­ve­goed, 2004). Wie kön­nen so kom­ple­xe Syste­me wie Orga­ni­sa­tio­nen über­haupt über­le­ben? Dank den Men­schen, die Teil von ihr sind. Jeder Mit­ar­bei­ter bringt sein per­sön­li­ches Set an Resi­li­enz-Qua­li­tä­ten mit; jede Füh­rungs­kraft muss den Spa­gat zwi­schen Berufs-Pola­ri­tä­ten und den Resi­li­en­zen des Ein­zel­nen mei­stern (z.B. gleich­zei­tig Qua­li­tät und Quan­ti­tät oder Krea­ti­vi­tät und Com­pli­ance för­dern). Das geht nur, wenn man bereit ist «out of the box» zu den­ken und zu han­deln, wenn man Diver­si­tät als Res­sour­ce erkennt und nutzt, wenn man Mut zur Lücke beweist und auch ein Schei­tern in Kauf nimmt.

Heisst das, man muss per­fekt sein (alle Spa­ga­te mei­stern, kei­ne Schwä­chen haben/zeigen), um Kar­rie­re zu machen oder um eine gute Füh­rungs­kraft zu sein? NEIN, abso­lut nicht. Unse­re Resi­li­enz besteht aus Qua­li­tä­ten, die in einem dyna­mi­schen Fluss sind und wir ler­nen kon­stant dazu. Der Mensch kann gar nicht per­fekt sein. Wann ist man am Glück­lich­sten? Häu­fig in den Momen­ten, in denen man sich sel­ber ist – also in unse­rer per­fek­ten Unvoll­kom­men­heit und häu­fig, wenn wir uns in Reso­nanz mit unse­ren Mit­men­schen befin­den.

Mei­ne Kern­bot­schaft bestand schluss­end­lich aus den nach­ste­hend auf­ge­führ­ten Eck­punk­ten:

● Jeder Mensch hat sei­ne eige­ne Form der Resi­li­enz, wel­che sich ste­tig wei­ter­ent­wickelt.
● Wir soll­ten uns vor Augen füh­ren, dass nicht jeder Mit­mensch mit den glei­chen Vor­aus­set­zun­gen und Pri­vi­le­gi­en durch das Leben geht.
● Es lohnt sich Men­schen bes­ser ken­nen­zu­ler­nen. Es gibt näm­lich sol­che, wel­che schon in jun­gen Jah­ren aus­ser­ge­wöhn­li­che Fähig­kei­ten besit­zen und von denen wir ler­nen kön­nen.
● Resi­li­enz führt nicht immer zu einer Kar­rie­re, zu Macht, Sta­tus, oder Anse­hen (denn der Kon­text, die Mög­lich­kei­ten usw. sind zudem wich­tig), aber es schärft die Sin­ne, um sich und ande­re auf Dau­er zu ver­ste­hen, und um sich wei­ter­zu­ent­wickeln.
● Erfolg? Was ist das für uns?

Ich habe damals den Stu­den­ten etwas gewünscht, und das wün­sche ich jedem Men­schen: im Ein­klang mit sich und sei­nen Mit­men­schen zu sein, und zu blei­ben… Macht, Sta­tus, Geld ist ver­gäng­lich. Sie zu errei­chen hängt nur zum Teil von unse­ren Fähig­kei­ten und von der Resi­li­enz des Ein­zel­nen ab. Resi­li­enz kann aber hel­fen ein Leben lang zu ler­nen, und in Ver­bin­dung mit sich und ande­ren zu blei­ben. Inso­fern Erfolg, ver­stan­den als erfüll­tes Leben, sich sel­ber zu sein und in Bezie­hung zu ande­ren zu blei­ben — das ist für jeden erreich­bar.

Eure Cori­na


Refe­ren­zen:
Glasl, F. & Lie­ve­goed, B. (2004): Dyna­mi­sche Unter­neh­mungs­ent­wick­lung. Grund­la­gen für nach­hal­ti­ges Chan­ge Manage­ment. 3. Auf­la­ge, Bern, Stutt­gart, Wien: Haupt Ver­lag.
Draht, K. (2016). Resi­li­enz in der Unter­neh­mens­füh­rung. Was Mana­ger und ihre Teams stark macht. 2. Auf­la­ge, Frei­burg: Hau­fe Ver­lag.


Über­set­zung Ita­lie­nisch-Deutsch durch Cori­na Wyler, fina­les Deutsch-Lek­to­rat durch Schreib­ate­lier Jaco­ber (schreibatelier-jacober.ch), Simo­ne Jacober.

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