Kann man als Lea­der Resi­li­enz (Wider­stands­kraft) vermitteln?

10.01.2020, Brun­nen SZ

Schon wäh­rend mei­ner Master­ar­beit stell­te ich mir oft die Fra­ge, ob man als Füh­rungs­per­son Resi­li­enz sei­nen Mit­ar­bei­tern ver­mit­teln kann.

Mit Resi­li­enz mei­ne ich nicht die Effi­zi­enz- oder die Pro­duk­ti­vi­täts­stei­ge­rung einer Per­son, oder eines Teams, son­dern die Wider­stands­fä­hig­keit, phy­sisch und psy­chisch gesund zu blei­ben bei erhöh­tem, oder dau­er­haf­tem Distress. Oder, wie Coo­per es formulierte:

 

Das Kon­strukt von Resi­li­enz bezieht sich auf die Fähig­keit von Indi­vi­du­en, sich ange­sichts aku­tem Stres­ses, Trau­ma oder fort­wäh­ren­den Wid­rig­kei­ten erfolg­reich anzu­pas­sen und psy­cho­lo­gi­sches Wohl­be­fin­den und phy­sio­lo­gi­sche Homöo­sta­se zu behal­ten oder wie­der­zu­fin­den“ (Coo­per 2017, S. 27)

 

Wer sei­nen Mit­ar­bei­tern hel­fen kann, trotz Wider­stän­de gesund zu blei­ben und ange­mes­sen zu reagie­ren, der kann natür­lich auch auf das vol­le Poten­ti­al sei­ner Mit­ar­bei­ter zäh­len. Inso­fern ist die Wider­stands­kraft der Mit­ar­bei­ter auch ein nicht uner­heb­li­cher Fak­tor für die Wider­stands­kraft eines Teams, oder eines Unternehmens.

 

Wie kann also eine Füh­rungs­per­son die Resi­li­enz sei­ner Mit­ar­bei­ter för­dern und so die Men­schen und das Unter­neh­men gleich­zei­tig stärken?

 

Sel­ber Resi­li­enz zu zei­gen ist natür­lich ein mög­li­cher Weg, aber die Resi­li­enz-Ver­mitt­lung kommt vor allem in Mit­ar­bei­ter­ge­sprä­chen effek­ti­ver zustan­de. Damit die­se Gesprä­che Früch­te tra­gen, müss­ten sie zumin­dest mit einer gewis­sen Coa­ching-Hal­tung durch­ge­führt wer­den. Ergo, die Suche nach der Eigen­re­si­li­enz und deren För­de­rung, müss­te dem Mit­ar­bei­ter über­las­sen wer­den. Ein Lea­der könn­te ihm nur wohl­wol­lend und unpar­tei­lich als Spar­ring-Part­ner die­nen. Dies, dank des Wis­sens durch sei­nen per­sön­li­chen Erfah­rungs­schatz und durch sei­ne Fähig­keit, Selbst­re­fle­xi­on im Mit­ar­bei­ter auszulösen.

 

Es stel­len sich jedoch wei­te­re Fragen:

 

  • Wel­che Art von Füh­rungs­kräf­ten hat die Fähig­kei­ten, den Mit­ar­bei­tern durch Gesprä­che mit einer Coa­ching-Hal­tung zu mehr Resi­li­enz zu verhelfen?
  • Gibt es ver­schie­de­ne Typen von Füh­rungs­kräf­ten, die Resi­li­enz ver­mit­teln kön­nen, oder gibt es einen Fil­rouge, einen gemein­sa­men Nenner?
  • Wel­che all­ge­mein gül­ti­gen Qua­li­tä­ten las­sen die­se Per­so­nen leich­ter in Reso­nanz mit einem Mit­ar­bei­ter tre­ten, um ihm zu hel­fen, resi­li­en­ter zu wer­den zum Woh­le des Indi­vi­du­ums, aber auch zum Woh­le des Unternehmens?
  • Wie könn­te ein erfolg­rei­ches Resi­li­enz-Ver­mitt­lungs­ge­spräch zwi­schen Füh­rungs­kraft und Mit­ar­bei­ter aus­se­hen? Wel­che Fak­to­ren wären wichtig?

 

Damals, wäh­rend mei­ner Master­ar­beit, kam ich zu fol­gen­der Hypothese:

 

  • Füh­rungs­per­so­nen, die Resi­li­enz ver­mit­teln kön­nen, ver­fü­gen sel­ber über ein bestimm­tes Mass an Resilienzmechanismen.
  • Rei­ne ange­bo­re­ne Resi­li­enz, ohne erlern­te Resi­li­enz, kann kaum Resi­li­enz-Ent­wick­lung bei Mit­ar­bei­tern för­dern, denn sie ist meist geprägt durch einen Man­gel an «ech­ter Empa­thie», die aber wie­der­um benö­tigt wird, um die Bin­dung Füh­rungs­kraft-Mit­ar­bei­ter und vor allem die Bin­dung Coach-Coa­chee, in den Mit­ar­bei­ter-Gesprä­chen zu festigen.
  • Empa­thie, Wert­schät­zung, kul­tu­rel­les Ver­ständ­nis sind zusätz­lich zu den fach­li­chen und den übli­chen Füh­rungs­kom­pe­ten­zen not­wen­dig, um erfolg­reich den Mit­ar­bei­tern Resi­li­enz zu vermitteln.
  • Selbst­wahr­neh­mung und Fremd­wahr­neh­mung müs­sen gut aus­ge­bil­det und mög­lichst rea­li­stisch sein.
  • Vor allem die Selbst­wahr­neh­mung muss auf ver­schie­de­nen Ebe­nen gesche­hen und immer neu sei­tens der Füh­rungs­kraft veri­fi­ziert wer­den. Selbst­wahr­neh­mung im Sin­ne von kör­per­li­cher Selbst­wahr­neh­mung (was löst das bei mir kör­per­lich aus, bis wo gehen die eige­nen Ener­gie­re­ser­ven?), aber auch emo­tio­na­le und kogni­ti­ve Selbst­wahr­neh­mung (wel­che Ver­hal­tens­mu­ster prä­gen mich, woher kom­men sie, war­um kom­men gewis­se Emo­tio­nen hoch, was kann man, wer ist man, an was glaubt man, und was ist einem wich­tig, und warum?)
  • Selbst­re­flek­ti­ons­fä­hig­keit und Mut zur Lücke (im Sin­ne von nicht per­fekt sein, sich so, wie man ist zu akzep­tie­ren und offen mit eige­nen Schwä­chen oder Nie­der­la­gen umzugehen).
  • Von Vor­teil scheint auch die Fähig­keit, Trig­ger beim Mit­ar­bei­ter zu erken­nen, und sie wohl­wol­lend ver­su­chen, auf­grund der Histo­rie des Mit­ar­bei­ters zu ver­ste­hen und abzumildern.
  • Lösungs­ori­en­tiert­heit.
  • Wo immer mög­lich, eine pure Coach-Hal­tung in den Resi­li­enz-Gesprä­chen mit dem Mit­ar­bei­ter einnehmen.
  • Füh­rungs­kräf­te mit einem grund­sätz­li­chen par­ti­zi­pa­ti­ven Füh­rungs­stil wer­den es leich­ter haben in der Coa­ching Rol­le zu bleiben.

 

Wenn man die obi­gen Punk­te liest, fällt einem auf, dass vie­le Fähig­kei­ten durch die Eigen­re­si­li­enz der Füh­rungs­kraft bedingt sind. Erlern­te Resi­li­enz kor­re­liert oft und ger­ne mit bewäl­tig­ten oder noch nicht kom­plett ver­ar­bei­te­ten schwie­ri­gen Ereig­nis­sen oder Lern­erfah­run­gen. Die­se ver­än­dern die Sicht­wei­se, die Wer­te, die Hand­lungs­mu­ster einer Per­son und machen sie im besten Fall wider­stands­fä­hi­ger für künf­ti­ge ähn­li­che Ereignisse.

 

Inso­fern spielt häu­fig die Bio­gra­phie eines Lea­ders eine wich­ti­ge Rol­le für die Fähig­keit Resi­li­enz zu ver­mit­teln. Wer selbst vie­les gemei­stert und über­wun­den hat und sich zudem sei­ner diver­sen Resi­li­en­z­me­cha­nis­men und sei­ner Per­sön­lich­keit bewusst ist, kann auch jeman­dem Resi­li­enz glaub­haft vermitteln.

 

Gibt es noch ande­re Fak­to­ren, die eine Resi­li­enz-Ver­mitt­lung erleichtern?

Prin­zi­pi­ell, den­ke ich, kann jede Füh­rungs­kraft, egal aus wel­chem Arbeits­sek­tor, über die Fähig­kei­ten Resi­li­enz zu ver­mit­teln, ver­fü­gen. Weder die Art der Orga­ni­sa­ti­on, noch der Stil der Füh­rung, sind aus­rei­chend prä­dik­ti­ve Fak­to­ren für die Fähig­kei­ten eines Men­schen, Resi­li­enz zu ver­mit­teln (auch wenn par­ti­zi­pa­ti­ve oder trans­for­ma­tio­na­le Füh­rung es sicher leich­ter machen, da die Macht­asym­me­trie zwi­schen Vor­ge­setz­ten und Mit­ar­bei­tern in Gesprä­chen mit Coa­ching-Hal­tung mil­der aus­fällt). Ich bin über­zeugt, dass eine gute ganz­heit­li­che Selbst­wahr­neh­mung und ein eige­nes Port­fo­lio an Resi­li­en­z­me­cha­nis­men, zusam­men mit fach­li­chen- und Füh­rungs­kom­pe­ten­zen, der Schlüs­sel für den ersten Schritt ist, der zur Mit­ar­bei­ter-Resi­li­enz ver­hel­fen kann. Aber Selbst­wahr­neh­mung und Selbst­er­fah­rung rei­chen noch nicht aus, um erfolg­reich Resi­li­enz zu ver­mit­teln. Um erfolg­reich Resi­li­enz zu ver­mit­teln braucht es auch eine kor­rek­te Fremd­wahr­neh­mung des Gegen­übers, Empa­thie, Wert­schät­zung und kul­tu­rel­les Ver­ständ­nis, sowie Notio­nen und Pra­xis im Bereich Coa­ching. Mit ande­ren Wor­ten, alles was Bin­dung und Ver­trau­en schafft, muss vor­han­den sein.

Bezüg­lich Fremd­wahr­neh­mung grup­pie­re ich unter die­sem Begriff diver­se Aspekte.

 

Kör­per­li­che Wahr­neh­mung des Gegenübers:

  • wie ist sei­ne Mimik, sei­ne Kör­per­hal­tung, was drückt sie aus?

 

Kul­tu­rel­le Wahrnehmung:

  • Wel­che kul­tu­rel­len Aspek­te sind wich­tig im Umgang mit die­ser Person?
  • Wel­che Wer­te sind ihr wichtig?

 

«Syste­mi­sche Wahrnehmung»:

  • Wel­che unter­schied­li­chen Rol­len ver­kör­pert die­se Person?
  • Wie steht man in Rela­ti­on zu die­ser Person?
  • Wel­che Dyna­mi­ken gibt es zwi­schen Füh­rungs­kraft, Mit­ar­bei­ter und Team?

 

«Lebens­ge­schicht­li­che Wahrnehmung»:

  • Wel­che Ereig­nis­se kön­nen die­sen Men­schen in sei­nen Ver­hal­tens­mu­stern und in sei­nen Wer­ten geprägt haben?
  • Bestehen Trig­ger? Wenn ja, wor­auf und was gibt es für Erklä­run­gen dafür?

 

Coa­ching-Kom­pe­ten­zen hel­fen zudem, die Fremd­wahr­neh­mung in die rich­ti­ge Rela­ti­on zur Selbst­wahr­neh­mung zu set­zen. Das ist sehr wich­tig, um recht­zei­tig Halo, Über­tra­gung- und Gegen­über­tra­gungs­ef­fek­te zu erken­nen und abzu­fe­dern. Mit ande­ren Wor­ten, um sicher zu sein, was das The­ma bei einem selbst oder beim Gegen­über ist. Empa­thie und kul­tu­rel­les Ver­ständ­nis hin­ge­gen hel­fen in Ver­bin­dung mit dem Mit­ar­bei­ter zu blei­ben, ihm einen siche­ren Rah­men zu geben, so dass er sich für Ver­än­de­run­gen öff­nen kann. Die gera­de geschil­der­ten Fähig­kei­ten sind der Schlüs­sel, der die «Mit­ar­bei­ter-Resi­li­enz-Türen» öff­nen und erwei­tern kann. Die Füh­rungs­kraft fun­giert somit als Schlüs­sel­bund, der die Türen öff­nen kann, die wie­der­um zu wei­te­ren «Schlüs­seln» füh­ren, die alle zusam­men das Resi­li­enz­feld eines Teams aus­ma­chen und somit auch die Macht haben, die orga­ni­sa­tio­na­le Resi­li­enz zu beein­flus­sen. Denn je mehr Men­schen sich bewusst sind, wie es um ihre Resi­li­enz steht, je mehr Selbst­wahr­neh­mung und Fremd­wahr­neh­mung kor­rekt abläuft, um so leich­ter fällt es, Ver­ständ­nis für sein Gegen­über zu haben, Syn­er­gien zu nut­zen, gemein­sa­me Kul­tu­ren auf­zu­bau­en, even­tu­ell eine Trans­kul­tur in einem Team zu generieren.

Was kann also ein Lea­der tun, um kom­pe­tent Resi­li­enz zu ver­mit­teln?
Set­zen wir vor­aus, dass fach­li­che- und Füh­rungs­kom­pe­ten­zen vor­han­den sind. Eine etwas eta­blier­te­re Füh­rungs­kraft wür­de sich somit irgend­wo im Kubus der nach­ste­hen­den Abbil­dung 2 befin­den und viel­leicht schon, plus/minus, sich im Mit­tel­feld bewe­gen, sie­he gel­ber Kreis. Wie kann man sie nun so för­dern, dass sie sich mög­lichst in Rich­tung blau­er Kreis (maxi­ma­le Kom­pe­tenz hin­sicht­lich Selbst­wahr­neh­mung, Fremd­wahr­neh­mung und Coa­ching Fähig­kei­ten) ent­wickelt? In die­ser Serie wer­de ich mit euch alle 3 Ach­sen beleuch­ten und prak­ti­sche Tipps mit euch tei­len. Im näch­sten Blog-Bei­trag wird das The­ma „Selbst­wahr­neh­mung“ im Fokus stehen.

 

Unter­des­sen freue ich mich auf eure Kom­men­ta­re zum The­ma Resilienz.

 

Herz­li­che Grüsse

 

Eure Cori­na

Refe­ren­zen:

Coo­per, Cary L. et al. (2017). Resi­li­enz als Erfolgs­fak­tor. Nach­hal­ti­ge Stra­te­gien für die Arbeits­welt. Pader­born: Jun­fer­mann Verlag.

 

Drath, Kar­sten (2016). Resi­li­enz in der Unter­neh­mens­füh­rung. Was Mana­ger und ihre Teams stark macht. 2. Auf­la­ge, Frei­burg: Hau­fe Verlag.

 

Wyler, Cori­na (2018). Mit­ar­bei­ter-Resi­li­enz-Coa­chings von 3 Füh­rungs­kräf­ten in Schwei­zer Unter­neh­men: Ana­ly­se einer Ist-Situa­ti­on und wei­ter­füh­ren­de Inter­ven­ti­ons­vor­schlä­ge eines exter­nen Coa­ches. MAS Syste­mi­sches Coa­ching und Orga­ni­sa­ti­ons­be­ra­tung. Insti­tut für Kom­mu­ni­ka­ti­on und Füh­rung, Luzern. Arbeit ist nicht ein­seh­bar aus Vertraulichkeitsgründen.

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