Selbstwahrnehmung eines Leaders, als Faktor zur Vermittlung von Widerstandskraft an seine Mitarbeiter

21.01.2020, Brun­nen SZ

 

Die Gesellschaft von heute verän­dert sich rasend schnell und wird immer kom­plex­er und nichts scheint sich­er oder ein­deutig zu sein.

Es gibt bere­its einen Begriff dafür seit den 90er Jahren: wir leben in ein­er soge­nan­nten VUKA Welt. VUKA ist das Akro­nym für: Volatil­ität, Unsicher­heit, Kom­plex­ität und Ambi­gu­i­tät. Der Begriff wurde laut Draht erst im mil­itärischen Umfeld, nach dem Zer­fall der UdSSR, am US Army War Col­l­lege in Penn­syl­va­nia gebraucht; später in den 2000er auch vom Man­age­ment. Seit­dem aber benutzt, um die Kom­plex­ität der glob­al­isierten Wirtschaft zu umschreiben (Draht, S. 282 ff).

 

Draht set­zt auch voraus, dass für einen Leader das Mass an Übere­in­stim­mung zwis­chen dem von seinen Mitar­beit­ern erwarteten und von ihm selb­st prak­tizierten Ver­hal­ten, entschei­dend ist für seine Glaub­würdigkeit und seine Effek­tiv­ität als Führungskraft. Die Aufrechter­hal­tung und Verbesserung der eige­nen Resilienz ist somit von zen­traler Bedeu­tung (2016, S. 423).

 

Im let­zten Blog-Beitrag habe ich die Hypothese ange­führt, dass Führungskräfte, um Resilienz ver­mit­teln zu kön­nen, ihre Fähigkeit­en in Selb­st­wahrnehmung, Fremd­wahrnehmung und Coach­ing-Hal­tung, soweit es geht, max­imieren soll­ten. Heute werde ich vor allem einiges über die Selb­st­wahrnehmung erläutern. In mein­er Mas­ter­ar­beit habe ich Führungskräfte aus sehr unter­schiedlichen Sek­toren qual­i­ta­tiv befragt. Es ging mir unter anderem darum zu ver­ste­hen, wie viel Selb­st­wahrnehmung sie besitzen.

 

Die erste Frage, die im Raum stand war, wie bewusst sich Führungsper­so­n­en ihrer eige­nen Resilienz sind.

 

Es gibt ver­schiedene Übun­gen und Tests, die man durch­führen kann um her­auszufind­en, wo man ste­ht. Hier anbei drei davon, die man, ide­al­er­weise begleit­et von einem Coach oder Train­er, durch­führt und nachbe­spricht.

 

Leben­srad-Übung

Die Fra­gen dieser „Bestand­sauf­nahme“ deck­en die Zufrieden­heit in ver­schiede­nen Lebens­bere­ichen ein­er erwach­se­nen Per­son ab: Kar­riere, Geld, Part­ner­schaft, Fam­i­lie, Fre­unde, soziales Engage­ment, per­sön­lich­es Wach­s­tum, Kör­p­er, Seele, höhere Macht und Sinn. Für jeden dieser Teilaspek­te wer­den diverse Fra­gen gestellt und die Summe der Ergeb­nisse dieser Fra­gen ergibt dann einen Wert auf ein­er Skala von 0 bis 10 (0= für unzufrieden ste­ht, und 10= für voll zufrieden ste­ht).

Für die Auswer­tung wer­den die erziel­ten Werte der ver­schiede­nen Lebens­bere­iche in einem Kreis abge­bildet, siehe Abb. 1. Dieser Test ist sehr hil­fre­ich bei Men­schen, die sich nicht kom­plett bewusst sind, wie es um ihre aktuelle Lage im Leben ste­ht. Es kann helfen zu erken­nen, was es schon Pos­i­tives gibt und auch, was noch Entwick­lungspo­ten­tial besitzt.

 „Sphären-Mod­ell“

Draht hat ver­schiedene Fak­toren seel­is­ch­er Wider­stands­fähigkeit zu einem räum­lichen Kon­strukt zusam­menge­fasst, siehe Abbil­dung 2. Dazu gibt es auch einen Test, um zu evaluieren, welche Sphären bere­its gut aus­ge­bildet sind, und welche noch poten­ziert wer­den kön­nen. Draht erk­lärt das Mod­ell wie fol­gt:

 

„Das Mod­ell beste­ht aus sieben ineinan­der ruhen­den Kugelschalen, mit von innen nach aussen zunehmen­dem Radius. Dies soll versinnbildlichen, dass die äusseren Ebe­nen der Resilienz, d.h. Sinn und authen­tis­che Beziehun­gen, leichter vom Indi­vidu­um zu bee­in­flussen sind, als der innere Kern, d.h. die eigene Biogra­phie und die Per­sön­lichkeit selb­st. Doch selb­st das ist nicht völ­lig unmöglich. Im mit­tleren Bere­ich find­en sich mit Hirn-Kör­p­er-Achse, Ressourcen und Hal­tung drei Ebe­nen, die eben­so zen­tral für die seel­is­che Wider­stands­fähigkeit sind und mit einigem Aufwand vom Indi­vidu­um bee­in­flusst wer­den kön­nen.“

Wichtig bei diesem Mod­ell: es gibt keine Verbesserung­spri­or­ität unter den Ebe­nen. Auch wenn die äusseren Schalen leichter zu bear­beit­en sind, bleibt es möglich, bei Bedarf zuerst die inneren Sphären anzuge­hen. Draht pos­tuliert eben­falls, dass das Mod­ell aufzeigt, wie ein Men­sch sich voll ent­fal­ten kann, obwohl seine Bedürfnisse nicht in vollem Umfang erfüllt sind und dass sog­ar gle­ichzeit­ig auf ver­schiede­nen Ebe­nen gear­beit­et wer­den kann.

 

Big-Five-Per­sön­lichkeits­fak­toren-Test

Dieser Test basiert auf einem der ältesten und am besten erforscht­en psy­chome­trischen Ver­fahren. So wurde es laut Draht, in den let­zten 20 Jahren in über 3000 wis­senschaftlichen Stu­di­en ref­eren­ziert (Draht 2016, S. 118). Die Per­sön­lichkeit eines Men­schen lässt sich anhand dieses Mod­ells mit­tels fünf Dimen­sio­nen unter­schei­den:

 

  • Neu­ro­tizis­mus
  • Extra­ver­sion
  • Offen­heit für Erfahrun­gen
  • Verträglichkeit
  • Gewis­senhaftigkeit

 

Für den Busi­ness-Gebrauch wurde eine Vari­ante des Tests entwick­elt, die das etwas befremdliche Wort «Neu­ro­tizis­mus» in «Bedürf­nis nach Sta­bil­ität» umfor­muliert. Diese Busi­ness-Ver­sion des Tests wird auch «Work­place Big five» genan­nt und wurde von Pierce und Jane Howard entwick­elt (Draht 2016, S. 119). Wie Draht richtig anmerkt, ist es wichtig zu ver­ste­hen, dass es bei der Inter­pre­ta­tion dieses Tests um Eigen­schaften ein­er Per­sön­lichkeit geht und nicht um Kom­pe­ten­zen, Stärken oder Schwächen. Es gibt somit keine prinzip­iell gute oder schlechte Aus­prä­gung.

Bezüglich Resilienz kann der Big-Five-Per­sön­lichkeit­stest einige Hin­weise liefern, durch die starke oder weniger starke Aus­prä­gung einiger sein­er Fak­toren, wie es um die Resilienz-Fähigkeit eines Men­schen bestellt ist, siehe Abbil­dung 3.

 

Laut Draht stellt ein aus­geprägtes Bedürf­nis nach Sta­bil­ität den grössten Risiko­fak­tor für die seel­is­che Wider­stands­fähigkeit dar, da jede bedeut­same Verän­derung in der Umwelt auch das Innen­leben in Aufruhr ver­set­zen kann (2016, S. 123).

Ein schwach aus­geprägtes Bedürf­nis nach Sta­bil­ität hinge­gen wirkt eher als Schutz­fak­tor für die Resilienz des Einzel­nen.

 

Ein ander­er Fak­tor, der eine starke Schutz­funk­tion für die Resilienz eines Men­schen ausübt, ist die Extra­ver­sion; weil es Per­so­n­en mit aus­geprägter Extra­ver­sion leicht fällt, belast­bare, ver­trauensvolle Beziehun­gen aufzubauen und ein Ven­til für ihre Gefüh­le dort zu find­en.

 

Resilienz-Evaluierung und Erken­nung ist aber nur eins der Aspek­te, die ein Leader für seine Selb­st­wahrnehmung braucht. Die Selb­st­wahrnehmung sollte tagtäglich geschehen, sowohl auf emo­tionaler, als auch kog­ni­tiv­er, sowie kör­per­lich­er Ebene. Nur so kann man ressourcenvoll mit sich sel­ber und mit den Mitar­beit­ern umge­hen. Es ist wichtig zu erken­nen, was bei einem selb­st ist und was beim Gegenüber. Wie schon im vorheri­gen Beitrag erwäh­nt, die Biogra­phie eines Lead­ers spielt eine wichtige Rolle in der Ver­mit­tlung von Resilienz. Die auto­bi­ografis­chen Aspek­te find­en sich auf allen Selb­st­wahrnehmungsebe­nen wieder. In der Abb. 4 sind einige mögliche Fragestel­lun­gen zur Selb­st­wahrnehmung aufge­führt (Wyler, 2018).

Die Fra­gen sind sim­pel, aber effek­tiv. Einige hat man sich sich­er im Ver­laufe der Jahre bere­its gestellt, jedoch soll­ten sie sit­u­a­tions­be­zo­gen jeden Tag über­prüft wer­den. Beispiel: welche sind meine Werte? Habe ich sie heute gelebt? Falls nicht, wieso? Was spüre ich in meinem Kör­p­er? Falls ich Unwohl­sein spüre, was kann ich dage­gen tun?

 

Selb­stre­flek­tion ist eine der besten Möglichkeit­en, um seine Selb­st­wahrnehmung zu schär­fen. Manch­mal reicht sie jedoch nicht aus. Es gibt ver­schiedene Coach­ing-Übun­gen und Meth­o­d­en, die einen Leader und den Mitar­beit­er unter­stützen kön­nten.

 

Einige sim­ple Übun­gen, die man auch ohne Coach aus­führen kann, wer­den im 4.Teil dieser Serie vorgestellt. Im näch­sten Beitrag werde ich hinge­gen auf die Fremd­wahrnehmung einge­hen.

 

Eine gute Reflek­tion uns allen unter­dessen.

 

Her­zliche Grüsse

 

Eure Cori­na

Ref­eren­zen:

Drath, Karsten (2016). Resilienz in der Unternehmensführung. Was Man­ag­er und ihre Teams stark macht. 2. Auflage, Freiburg: Haufe Ver­lag.

 

Wyler, Cori­na (2018). Mitar­beit­er-Resilienz-Coach­ings von 3 Führungskräften in Schweiz­er Unternehmen: Analyse ein­er Ist-Sit­u­a­tion und weit­er­führende Inter­ven­tionsvorschläge eines exter­nen Coach­es. MAS Sys­temis­ches Coach­ing und Organ­i­sa­tions­ber­atung. Insti­tut für Kom­mu­nika­tion und Führung, Luzern. Arbeit ist nicht ein­se­hbar aus Ver­traulichkeits­grün­den.

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