
Wachstumszutaten: Verletzlichkeit, Freiheit und Mut
«Danke an meinen Vater für seine Offenheit des Herzens und für die Unterstützung zu diesem Beitrag.… (ich hätte ihn nie öffentlich gemacht ohne Deine und die Einwilligung von Sabine). Das Leben war wie es war und ist, wie es ist… aber ich bin wer ich bin, Dank Eurer Liebe und Eurer Resilienz. Habe Dich lieb.»
Ich war im Urlaub auf Amrum, eine Nordsee-Insel. Das Gefühl von Freiheit, von grenzenloser Weite, die dieser Ort einem schenkt, ist unbeschreiblich. Schon während meines Urlaubs, habe ich einige Gedanken zu Papier gebracht, aber erst jetzt, beim Durchlesen und Ergänzen dieser Gedanken, erscheint es mir richtig, diese mit Euch zu teilen. Ich teile sie, weil ich hoffe, dass andere Personen davon profitieren können und auch, weil sie ein Teil meiner persönlichen und professionellen Laufbahn sind. Ich wäre nicht wer ich bin, als Mensch und als Coach, ohne meine Vergangenheit, ohne mein Herz und ohne den Willen zu wachsen.
Man sagt mir nach, ich sei sehr empathisch, aber es ist mir immer sehr schwer gefallen im privaten Kontext Menschen an meinen innersten emotionalen Kern ranzulassen. Und auch heute noch ist es so: auch wenn ich starke Verbesserungen an mir selber wahrnehme, die noch vor 5 Jahren nicht denkbar gewesen wären. Das verdanke ich meiner professionellen Laufbahn und wunderbaren Freunden.
Es gibt Menschen, die in jungen Jahren heftige Erfahrungen gemacht haben… mit Bindungsproblemen. Auch ich zähle zu diesen Menschen. Meine Eltern liebten mich, aber sie hatten Schwierigkeiten mich mit Wärme und ohne Manipulationen grosszuziehen. Sie hatten Probleme in ihre Ehe. Hinzu kam die Sucht meines Vaters und die frühkindlichen Traumatas meiner Mutter. Dieses waren die Gründe für die Schwierigkeiten. Sie benutzen mich als Waffe, um sich gegenseitig zu verletzen. Meine Mutter wollte unbewusst meinem Vater meine Liebe entziehen, um ihn zu bestrafen und er liess mich im Gegenzug aus Frustration «nicht wertvoll genug» fühlen, indem er nicht meine Leistungen in der Schule und ausserhalb wertschätzte (und ich als Kind in der Mitte, das niemanden verletzten wollte). Ich habe vor ein paar Wochen erfahren, dass meine Mutter, nicht nur ein schwieriges Verhältnis zu ihrem Vater hatte (der dazu noch sehr jung verstarb), sondern dass sie auch ihre ersten 3 Lebensjahre unter prekären Bedingungen in einem Internierungslager verbrachte (1945–1947). Das, um zu zeigen, dass das Leben ist, wie es ist… es gibt keinen Grund/ Schuld für schwierige oder unschöne Ereignisse, weder bei ihr, noch bei meinem Vater, noch bei mir… man überlebt, wird resilient. Aber wie ich schon einmal in einem Blog Beitrag geschrieben habe, kann die Resilienz ein zweischneidiges Schwert sein… Man gibt seine Fähigkeit zur Vulnerabilität auf… man gibt die Verbindung zu sich und anderen dadurch womöglich auf.
Im Alltag vergisst man oft, über wie viel Freiheit wir verfügen: wie viele unserer Entscheidungen uns «neue Entdeckungen», «neue Orte», «neue Eindrücke» schenken können… aber dafür braucht es Vulnerabilität und Mut, denn unsere Freiheit ist verwoben mit der Freiheit der anderen (egal um welches Thema es geht: Familie, Beruf, Gesundheit usw.). Freiheit hat Einfluss auf ein System… keine unserer Entscheidungen über unsere Freiheit bleibt ohne Wirkung für die Menschen um uns herum. Und das kann Angst und Reibungsflächen bei uns und/oder bei den Menschen, die uns nahestehen auslösen.
Habt Ihr Euch schon mal so frei gefühlt, dass Ihr davor Angst hattet? Oder im Gegenzug so wenig frei, dass es Euch eng ums Herz wurde?
Was ist das richtige Mass an eigener Freiheit und wie können wir fairerweise die Möglichkeiten nutzen, die uns diese Freiheit schenkt? Anders gesagt: sie zu nutzen, ohne die Freiheit der anderen zu limitieren, oder zumindest, wenn wir limitieren möchten oder müssen, um unsere Freiheit zu gewährleisten, es zumindest so zu tun, dass es verantwortungsvoll und achtsam gegenüber unserem Nächsten ist?
Eines Tages war ich spazieren an der Küste von Norddorf, und sah zwischen den Dünen einen kleinen Leuchtturm. Ich habe nach einem Weg gesucht, um dahin zu gelangen: zwischen weissem Sand und den gleitenden Möwen in der salzigen Meeresluft. Ich habe meinen Weg gefunden und die Aussicht hat mir den Atem geraubt… In dem Moment hat die folgende Redewendung zu meinen Empfindungen bei dem Anblick dieser Weite gepasst:
“Frag dich nicht was richtig ist, sondern frag dich, was du fühlst. Hör auf dich zu fragen, ob du kannst, sondern frage dich, ob du willst» (unbekannter Autor)
Ich denke Self-Awareness und Ehrlichkeit sich selbst gegenüber sind wichtig, um zu verstehen, in einem ersten guten Schritt, wie viel und welche Art von Freiheit man in seinem Leben benötigt. Diese Redewendung spiegelt wieder, wie wichtig es ist, sich nicht selbst auszutricksen.
Der zweite Schritt ist zu verstehen, welchem eigenen «Leuchtturm» man folgen möchte. Was sind die eigenen wahren Werte oder Themen die einem wichtig sind, auf die man nicht verzichten kann und die uns leiten in der Weite der Entscheidungsmöglichkeiten in unserem Leben.
Mein Leuchtturm ist Ehrlichkeit, Respekt, alle Formen von paritärer Zuneigung/ Liebe und die Möglichkeit, meine eigenen Entscheidungen zu treffen.
Mit Ehrlichkeit und Respekt meine ich sowohl mir selber gegenüber, als auch den anderen gegenüber, in den Momenten wo es darauf ankommt. Denn nur so kann ich gleichzeitig den anderen einen fairen, achtsamen Freiheitsraum garantieren und zugleich mein Recht auf frei sein beanspruchen. Ehrlichkeit heisst nicht immer mit Sicherheit zu wissen…Es kann auch einfach bedeuten « ich weiss nicht, was ich will oder entscheiden werde» und einfach den Moment so zu akzeptieren, wie er gerade ist.
Ich kämpfe jeden Tag um ehrlicher zu sein und um meine Grenzen mit Mut zu verstehen und auszureizen. Manchmal gelingt es mir gut, manchmal weniger, aber ich lerne immer mehr über die Menschen um mich herum, über mich selber, über meine eigene und die Vulnerabilität der anderen. Ich fange an zu lernen, dass die Grenzen zwischen Menschen, wie die Gezeiten oder die Dünen sind… sie sind nicht statisch… sie sind mit der Zeit in Bewegung. Dynamische Grenzen sind es wert erforscht zu werden, um daran gemeinsam zu wachsen… trotz Aengsten und Reibungsflächen.
Danke schon jetzt für Eure wertvollen Gedanken…
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