Warum ist die Wertschätzung, die Achtung von anderen Menschen für uns so wichtig? Wie kann man sie erkennen?
28.10.2019, Brunnen SZ
Jeder Mensch braucht Wertschätzung/Achtung. Im Sinne von Selbstachtung, und Wertschätzung von anderen Personen. Ich denke, viele von Euch werden mir diesbezüglich zustimmen.
Vielleicht werden einige von Euch sagen: … Stop! Die Wertschätzung von Mitmenschen ist nicht so wichtig, wenn wir eine gute Selbstachtung besitzen. Wir brauchen nicht unbedingt Bestätigung von aussen, um «wertvoll zu sein». Ich stimme diesem Punkt nicht gänzlich zu. Es stimmt, wenn wir uns selbst achten/wertschätzen und wir uns akzeptieren wie wir sind, werden wir zufriedener sein, unabhängiger von den Urteilen der anderen, stabiler und resoluter in unseren Vorhaben, in unseren Lebenszielen, vielleicht sogar in unserem Verhalten. Wir brauchen aber auch den Kontakt zu anderen, die Sozialisierung. Wir möchten uns als Teil eines Ganzen, einer Gruppe fühlen und sei es nur in einer Zweisamkeit, als kleinste Gruppe und wir möchten angenommen und geschätzt werden, so wie wir sind, von den Menschen, die uns wichtig sind. Nicht ohne Grund findet man beide Aspekte in den Resilienz-Mechanismen: self regulation (wo Selbstachtung/Selbstliebe eine Rolle spielt) und social relationships.
Machen wir ein Beispiel. Wie viele von uns haben bereits die positive Erfahrung gemacht, sich unterstützt zu fühlen in ihren Vorhaben, in ihren Qualitäten durch die Anerkennung, die Achtung von Familienangehörigen, Freunden, Kollegen oder Vorgesetzte? Und wie viele von uns haben die entgengesetzte Erfahrung gemacht, vielleicht verursacht durch ungünstige Umstände (Mobbing in der Schule, Arbeitsumfeld, das mit Wertschätzung nicht umgehen konnte, Familienkonflikte)? Wie habt ihr Euch gefühlt in dem einen oder anderen Fall? Wie erging es Eurer Selbstachtung in diesem Zeitraum? Welche Konsequenzen auf längere Sicht hat das auf Euren Charakter gehabt?
Auch die grösste Selbstwertschätzung kann nicht die “Lust” zu einer Gruppe dazu zugehören unterdrücken, oder den Wunsch einer geliebten/geschätzten Person zu gefallen, unterbinden.
Wenn man den Begriff “self esteem” im Internet auf der Pubmed Datenbank sucht, so findet man eine eindrückliche Anzahl an wissenschaftlichen Artikeln, um genau zu sein: 129’023 (aktueller Stand); aber herzlich wenig über den Begriff “esteem”, verstanden als Wertschätzung gegenüber eines Individuums.
Nichtsdestotrotz ist im Tierreich “Achtung”, verstanden als “Respekt”, ein wichtiger Faktor… ein Konzept, das der Gruppe dient, um zu definieren, welches Individuum welchen Rang einnimmt, wer der Anführer ist, wer welche Aufgabe erledigt , wer die richtigen Qualitäten hat (körperlich wie auch Verhalten), um der Gruppe in einer bestimmten Situation das Überleben zu sichern.
Versteht mich bitte nicht falsch: Selbstachtung/Selbstwertschätzung ist ausserordentlich wichtig. Aber sie ist eng verbunden auf verschiedenste Weise mit der Achtung die uns entgegengebracht wird. Sie kann somit geringer oder stärker sein, je nachdem, welche Erfahrungen wir mit Mitmenschen gemacht haben und die Erfahrungen mit anderen Personen können wiederum beeinflusst werden von der momentanen Selbstwertschätzung.
Somit dient die Achtung/Wertschätzung (Selbst- und die der anderen) nicht nur dem Individuum um Erfolg im Leben zu haben (egal wie ihr Erfolg definiert), sondern es hilft den Gruppen, die dieses Individuum beinhalten, auch besser zu funktionieren… zu «überleben». Die Achtung/Wertschätzung hat somit sicherlich einen wichtigen Evolutionssinn.
Egal ob durch Freunde, Familie, Partner, Arbeitskollegen usw., wenn wir öffentlich geschätzt werden, wird auch unsere Selbstwertschätzung irgendwann steigen und so unser Verhalten beinflussen. Wir werden dann versuchen, die Verhalten und Aktionen zu reproduzieren, die zu diesem “rewarding” geführt haben und dieses wird wiederum die uns bereits entgegengebrachte Wertschätzung nur verstärken.
Also wertschätzen wir uns alle gegenseitig und wir werden high performing teams, eine perfekte Familie, ideale Freunde haben und wir selber werden das «Gelbe vom Ei» sein? Nein, natürlich nicht, denn zu viele Parameter und Konditionen spielen im System “Leben” noch eine Rolle. Das perfekte Resultat, der ersehnte Erfolg ist von so vielem abhängig. Aber.… Achtung/Wertschätzung ist sicher ein Fakor, der sehr wichtig ist für das gute Funktionieren eines Individuums oder einer Gruppe. Ich denke, das kann man definitiv so stehen lassen. Es ist somit eine Komponente, die zumindest die Chance auf ein positiv erhofftes Resultat, egal welches man anstrebt, erhöht.
Die Achtung /Wertschätzung, wie wird sie gegeben und wie wird sie wahrgenommen? Diese Frage erscheint trivial, ist sie aber leider nicht.
Achtung wird von den Menschen auf unterschiedliche Weise geäussert und/oder aufgenommen. Diese Tatsache verkompliziert in zwischenmenschlichen Beziehungen das “Verstehen und das Schätzen” von erhaltenen Wertschätzungen. Es gibt diverse Bücher zu diesem Thema, viele in der Paartherapie, siehe z.B. Gary Chapman. Aber auch ohne diese Bücher oder Artikel zum Thema gelesen zu haben, hat jeder von uns diese kommunikativen Unterschiede /Schwierigkeiten schon mal in seinem Leben erlebt.
Es gibt Menschen, die ihre Wertschätzung gekonnt mit Worten zum Ausdruck bringen, andere tun dies durch Gesten (Geschenke, Geld/Boni in der Arbeit). Es gibt zudem Menschen, die Wertschätzung durch Zuhören oder durch Taten in schwierigen Zeiten sprechen lassen, sowie einige, die es kundtun in dem sie sich Zeit nehmen für den anderen.
Achtung/Wertschätzung kann viele Gesichter haben, manchmal versteckt sie sich in einem einzigen Blick, in einem einfachen liebevollen Satz, in einer Umarmung, oder in kleinen alltäglichen Gesten, wie gemeinsam einen Kaffee trinken zu gehen. In dieser VUCA Welt (flüchtig, unsicher, komplex und mehrdeutig), brauchen wir immer mehr Sicherheiten, Ressourcen und das Wissen, dass es ok ist, so zu sein, wie wir sind. Es ist wichtig Wertschätzung zu erhalten und zu geben, aber es ist genauso wichtig erkennen zu lernen, dass es verschiedene Arten von Wertschätzung gibt, damit wir auch fähig sind, diese Ressourcen, diese Sicherheiten zu empfangen und uns darüber zu freuen.
Eine Übung, die ich häufig mit meinen Kunden mache, um sie weniger kritisch gegen sich selber zu stimmen, ist ihnen Ressourcen zu geben. Ich bitte sie, Familienangehörige, Freunde, oder Menschen an denen ihnen etwas liegt zu fragen, ob sie ihnen positive Eigenschaften des Klienten aufzählen können, oder warum sie diesen Menschen schätzen. Diese Aufgabe hat zwei positive Effekte. Zum einen stärkt es die Selbstwertschätzung des Klienten und vermittelt ihm/ihr Ressourcen in Zeiten schwieriger Veränderung, zum anderen verstärkt es zusätzlich die positive Bindung, die bereits besteht zwischen dem Klienten und dem ihm wichtigen Mitmenschen.
Das Gefühl von Wertschätzung korreliert oft mit der Empathiefähigkeit oder mit der emotiven Bindung eines Menschen. Aus verschiedenen Gründen jedoch können einige Personen nicht im Alltag ihre Achtung/Wertschätzung in Worte fassen und werden dadurch als wenig empathisch empfunden. Deswegen kann diese Übung nützlich sein… weil man auch diese Menschen etwas “anspornt” ihre Wertschätzung verbal zum Ausdruck zu bringen, auf eine Art, die jedem verständlich ist.
Das heisst aber nicht, dass jeder und immer mit Worten seine Achtung/Wertschätzung und seine Empfindungen äussern muss… sondern vielmehr sollten wir alle lernen, auf Dauer die verschiedenen Kommunikationsarten von Achtung/Wertschätzung zu verstehen und dieses auch zu nutzen, um unsere eigene Achtung auf eine geeignete Manier kundzutun (so dass andere sie annehmen können).
Aber wie kann uns das gelingen?
Um ehrlich zu sein, darüber denke ich auch häufig nach. Für mich selber bin ich zu folgendem persönlichen Schluss gekommen:
- Offen bleiben… Wenn Herz und Bauch uns suggerieren, dass uns ein Mensch schätzt, trotz wenig konkreter Beweise, ist es ratsam versuchen zu verstehen, wie die Person mit uns und mit anderen Menschen kommuniziert. Mit anderen Worten: bis nicht das Gegenteil bewiesen ist, auf die eigene Intuition vertrauen und sich nicht verschliessen.
- Nicht nur das Gesagte beobachten, sondern auch das Non-Verbale und die Gesten.
- Höflich und konstruktiv den anderen Menschen fragen, was er an uns schätzt.
- Und vor allem: Geben und nicht nur Nehmen. Wertschätzung/Achtung ist eine Empfindung, die aus Situationen heraus entsteht, in denen man Vertrauen gegeben und erhalten hat und wo der Ausgang als positiv bewertet worden ist. Langanhaltendes Vertrauen kann sich nur manifestieren, wenn die Beziehung paritär ist. Vielleicht ist unser Kommunikationsstil nicht geeignet oder hat nicht den nötigen Effekt auf den anderen. Dieses kann daran liegen, dass die Person vielleicht einen anderen Sinneskanal, andere kulturelle Regeln oder autobiographische Erfahrungen gewöhnt ist. Lasst uns also versuchen, unserem Nächsten etwas entgegenzukommen.
Was haltet Ihr davon?
Ist die Achtung/Wertschätzung anderer wichtig?
Wie mögt Ihr geschätzt werden?
Wie äussert Ihr Wertschätzung?
Neugierig auf Eure Gedanken, grüsse ich Euch herzlich
Corina
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