Was ist Selbstwertgefühl / Selbstwertschätzung? Wie kann man sie fördern?

28.10.2019, Brun­nen SZ

Es existiert eine bre­it­bandi­ge Lit­er­atur zum The­ma Selbstwertgefühl/Selbstwertschätzung. Was man unter Selb­st­wertschätzung ver­ste­ht, welchen Ein­fluss sie über unser Glück hat, warum sie manch­mal klein oder gross aus­fällt, oder welche Rolle Trau­ma­ta beim emp­fun­den Selb­st­wert spie­len kön­nen. Allerd­ings sind sich nicht alle Autoren immer einig über alle Aspek­te davon. Im Jahr 1969 meinte der Psy­chologe Nathaniel Bran­den, dass der grösste Teil der men­tal­en und emo­tionalen Prob­leme der Men­schen ihren Ursprung in einem niedri­gen Selb­st­wert­ge­fühl find­en (Bran­den, 1969).
Was ist aber ein Selb­st­wert­ge­fühl?

Für die Psy­cholo­gen gibt es 3 Ter­mi­ni, die sehr nahe beieinan­der liegen, aber leicht unter­schiedliche Bedeu­tun­gen aufweisen (Druck­man & Bjork, 1994; Oney, & Oksu­zoglu-Guven, 2015). Die Selb­st­wirk­samkeit, das Selb­stver­trauen und das Selb­st­wert­ge­fühl (self-effi­ca­cy, self-con­fi­dence, self-esteem). Siehe auch https://positivepsychology.com/self-confidence/ für mehr Details zum The­ma.

Die Selb­st­wirk­samkeit: Der Glaube eines Indi­vidu­ums in sein­er Fähigkeit, Ereignisse in seinem Leben bee­in­flussen zu kön­nen (Ban­dura, 1977). Im Ver­gle­ich zum Ter­mi­nus Selb­st­wert­ge­fühl, legt der Begriff Selb­st­wirk­samkeit eher den Fokus auf die Fähigkeit, in zukün­fti­gen Sit­u­a­tio­nen zu reagieren, anstatt den “Wert” ein­er Per­son zu umschreiben.

Selb­stver­trauen: Das Ver­trauen eines Indi­vidu­ums in seinen Fähigkeit­en, in sein Urteilsver­mö­gen, in sein Kön­nen, oder der Glaube, dass er erfol­gre­ich die Hür­den und Anforderun­gen des täglichen Lebens meis­tern kann (Psy­chol­o­gy Dic­tio­nary online). Das Selb­stver­trauen bring auch ein Gefühl von Glück mit sich. Man ist motiviert­er und man ver­fol­gt mit mehr Elan und vehe­menter seine Ziele. Dadurch erfreut man sich mehr an den eige­nen Erfol­gen. Der sub­tile Unter­schied zwis­chen Selb­stver­trauen und Selb­st­wirk­samkeit basiert auf der Tat­sache, dass Selb­stver­trauen durch pos­i­tive Erfahrun­gen katalysiert wird und somit nicht nur rel­e­vant für die eigene Zukun­ft ist, son­dern auch seinen Ursprung in der Ver­gan­gen­heit des Indi­vidu­ums hat.

Selb­st­wert­ge­fühl: Vor allem zwei Autoren haben diesen Begriff geprägt. Rosen­berg (1965), und der
bere­its erwäh­nte Bran­den (1969). Rosen­berg war der Mei­n­ung, dass das Selb­st­wert­ge­fühl, den mehr oder weniger sta­bilen Glauben eines Indi­vidu­ums an seinen Selb­st­wert darstellt. Er entwick­elte auch eine Selb­st­wert­ge­fühlsskala; siehe Ref­erenz. Bran­den hinge­gen war überzeugt, dass das Selb­st­wert­ge­fühl aus 2 Kom­po­nen­ten bestand. Die Selb­st­wirk­samkeit und die Selb­stach­tung (definiert als der Glaube, Glück, Liebe und Erfolg zu ver­di­enen). Die Def­i­n­i­tion von Rosen­berg, die gen­er­al­isiert­er aus­fällt, bietet mehr Angriffs­fläche für Kri­tik. Ihre Nuan­cen kön­nen je nach Kul­tur des Indi­vidu­ums unter­schiedlich sein.

Heutzu­tage nimmt man an, dass das Selb­st­wert­ge­fühl aus drei Kom­po­nen­ten beste­ht (https://positivepsychology.com/self-confidence/):

  • Es ist ein essen­tielles men­schlich­es Bedürf­nis, das nötig ist, um zu über­leben und für die gesunde Entwick­lung eines Indi­vidu­ums ste­ht.
  • Es entste­ht automa­tisch vom Glauben und von dem Bewusst­sein eines Indi­vidu­ums.
  • Es tritt im Zusam­men­hang mit den Gedanken, dem Ver­hal­ten, den Emo­tio­nen und den Aktio­nen eines bes­timmten Indi­vidu­ums auf.


Für die Psy­cholo­gin Aron (2018) ist Selb­st­wert­ge­fühl dann gegeben, wenn eine Bal­ance zwis­chen “Rank­ing” (der ange­borene Drang nach Anerken­nung durch den Wet­tbe­werb in ein­er bes­timmten Grup­pen-Hier­ar­chie, damit wir uns weit­er­en­twick­eln und Gerechtigkeit ein­fordern kön­nen) und “Link­ing” (der ange­borene Drang uns ange­zo­gen von anderen zu fühlen, sie gern zu haben, ihnen Inter­esse zu zeigen, und ihnen zu helfen, falls wir es kön­nen). Ver­schiedene Trau­ma­ta in der Kind­heit, oder im erwach­se­nen Alter, kön­nen ein Ungle­ichgewicht zwis­chen diesen Fak­toren bewirken und sowohl z.B. zu Narziss­mus (ein zu starkes Selb­st­wert­ge­fühl), als auch zu einem chro­nisch schwachen Selb­st­wert­ge­fühl (mit möglichen beglei­t­en­den Depres­sio­nen oder anderen Patholo­gien) führen.

Diverse Stu­di­en kon­nten aufzeigen, dass ein gutes Selb­st­wert­ge­fühl mit ein­er besseren Gesund­heit, mit einem besseren sozialen Leben kor­re­lieren kann, und sog­ar als Schutz­fak­tor gegen men­tale Krankheit­en und soziale Prob­leme fungieren kann (Mann, Hoss­man, Schaal­ma, & de Vries, 2004).

Eben­falls wird das Selb­stver­trauen mit einem pos­i­tiv­en Effekt für die men­tale Gesund­heit in Kor­re­la­tion gebracht (Ather­ton et al., 2016; Clark & Gaku­ru, 2014; Glop­pen, David-Fer­don, &Bates, 2010; Kenderis, 2015; Stankov, 2013; Stankov & Lee, 2014).

Auch wenn viele von uns, auf­grund unter­schiedlich­er Trau­ma­ta, oder weil sie in über­be­hüteten Umge­bun­gen aufgewach­sen sind, unter Unruhe, Angst ver­let­zt zu wer­den, oder Scham lei­den und somit nicht über ein starkes Selb­st­wert­ge­fühl ver­fü­gen, heisst das nicht, dass man nicht Erfolg haben kann, oder seinen All­t­ag meis­tern kann. Hier kommt ein men­schlich­es Attrib­ut in‘s Spiel, dass sehr wertvoll ist: Mut. Mut ist die Fähigkeit, trotz man­gel­n­dem Ver­trauen in unsere Fähigkeit­en, trotz beste­hen­der Angst etwas zu riskieren, aktiv zu wer­den. Mut ver­langt nach mehr Kraft seit­ens des Indi­vidu­ums. Eine mutige Per­son kann im Nor­mal­fall die eige­nen lim­i­tieren­den Fak­toren für Selb­st­wach­s­tum damit über­winden. Angst kann aber nicht immer über­wun­den wer­den, deswe­gen macht es dur­chaus Sinn, auch sein Selb­st­wert­ge­fühl, sein Selb­stver­trauen und seine Selb­st­wirk­samkeit zu stärken.

Wie gelingt es uns?

Ich möchte Euch zwei TED Talks empfehlen.

Der erste ist ein TED Talk vom Psy­cholo­gen Guy Winch
https://www.ted.com/talks/guy_winch_the_case_for_emotional_hygiene

Der zweite ist von Dr. Ivan Joseph
https://www.youtube.com/watch?v=w‑HYZv6HzAs

In ihren Talks kann man einige Strate­gien erken­nen, um den “Skill” Selb­st­wert­ge­fühl zu verbessern. Selb­st­wert­ge­fühl kann näm­lich trainiert wer­den. Hier fol­gend einige wichtige Aspek­te, um es zu trainieren und steigern.

  • Aus­dauer. Wir alle fühlen uns voller Selb­stver­trauen, wenn wir vor Sit­u­a­tio­nen ste­hen, die wir mit Bravur in der Ver­gan­gen­heit bere­its gemeis­tert haben. Aber dafür haben wir meist auch hart und mit Aus­dauer trainiert. Ein erfol­gre­ich­er Tänz­er ist erfol­gre­ich wegen sein­er Aus­dauer im Train­ing. Wenn wir nie getanzt haben, wer­den wir uns in einem Sal­sa-Kurs nicht wohlfühlen. Je mehr wir aber dafür trainieren, je mehr gewin­nen wir an Selb­stver­trauen und wir wer­den uns wohlfühlen.
  • Mit­ge­fühl mit uns selb­st. Wir soll­ten Selb­stkri­tik in sein­er streng­sten Form ver­ban­nen und mehr unseren eige­nen Wert schätzen. Zum Beispiel, in dem man eine Liste der eige­nen Qual­itäten in einem bes­timmten Kon­text auf­schreibt. Ihr habt einen Job lei­der nicht erhal­ten. Schreibt alle Qual­itäten und men­schlichen Eigen­schaften auf, die euch als wertvollen Mitar­beit­er qual­i­fizieren. Sucht euch eins dieser Qualitäten/Eigenschaften aus und schreibt ein kleines Essay von 2–3 Absätzen über, warum diese Qualität/Eigenschaft einen bes­timmten Wert hat, und warum sie in Zukun­ft wahrschein­lich von den Mit­men­schen geschätzt wird. Wenn ihr die Übung jeden Tag eine Woche durchzieht, kön­nte es euch helfen, euer Selb­st­wert­ge­fühl zu steigern.
  • Ver­mei­det das end­lose Sin­nieren. Wenn ihr über eine neg­a­tive ver­gan­gene Sit­u­a­tion end­los sin­niert und diese Sit­u­a­tion hat­te eurem Selb­st­wert­ge­fühl geschadet, so tut ihr euch keinen Gefall­en damit. Sobald ihr euch dabei ertappt, ver­sucht eure Aufmerk­samkeit auf etwas anderes zu lenken. Mind­ful­ness Übun­gen (Herz-Kohärenz Atmung, die Übung mit dem Stuhl), oder Aktiv­itäten zur Ablenkung (Sport, ein Buch lesen usw.).
  • Redet gut über euch sel­ber. Ver­sucht nicht von euch neg­a­tiv zu reden, son­dern sucht nach den guten Seit­en.
  • Visu­al­isiert euer Selb­stver­trauen. Ver­sucht euch vorzustellen, dass ihr bere­its Selb­stver­trauen besitzt. Was wäre anders als jet­zt? Wie seid ihr? Wie kön­nte euer Umfeld aus­machen, dass ihr mehr Selb­stver­trauen besitzt? Ver­sucht euch detail­liert vorzustellen, und ruft euch diese Erin­nerung ins Gedächt­nis, wenn ihr mal wieder eine Ressource für euer Selb­st­wert­ge­fühl benötigt.
  • Seid geduldig mit euch selb­st. Selb­st­wert­ge­fühl ist ein “Skill”, das trainiert wer­den will. Es braucht Zeit, es ist ein Prozess.
  • Fragt nach und gebt anderen Men­schen Hil­fe. “Link­ing”, oder euer Impuls, sich an andere Men­schen zu binden, ist eine Ressource, die zu mehr Selb­st­wert­ge­fühl führen kann. Speziell für Men­schen, die Trau­ma­ta in der Kom­po­nente “Rank­ing” aufweisen. Mit anderen Worten, wenn ihr euch nicht wert genug in ein­er Gruppe fühlt, oder ihr sucht ständig nach Anerken­nung und wollt die Besten sein, ver­sucht den Aspekt der Bindung zu den Mit­men­schen zu nutzen. Gebt und investiert in Beziehun­gen, und Wertschätzung wird euch irgend­wann im Gegen­zug ent­ge­genge­bracht. Das wird euch unter Umstän­den auch helfen, euer Selb­st­wert­ge­fühl zu verbessern.

 


Ich hoffe, diese Gedanken über das Selb­st­wert­ge­fühl haben euch gefall­en… und ich bin neugierig von euch zu hören.

Her­zlich

Cori­na

Ref­eren­zen

  • Aron, E.N. (2018). Die Kraft der Bindung. Wie Liebe und Anerken­nung unseren Selb­st­wert bestimmen.Mvg Ver­lag.
  • Ather­ton, S., Antley, A., Evans, N., Cer­nis, E., Lis­ter, R., Dunn, G., Slater, M., & Free­man, D. (2016). Self-con­fi­dence and para­noia: An exper­i­men­tal study using an immer­sive vir­tu­al real­i­ty social sit­u­a­tion. Behav­iour­al and Cog­ni­tive Psy­chother­a­py, 44, 56–64. doi:10.1017/S1352465814000496
  • Ban­dura, A. (1977). Self-effi­ca­cy: Toward a uni­fy­ing the­o­ry of behav­ioral change. Psy­cho­log­i­cal Review, 84, 191–215.
  • Bran­den, N. (1969). The psy­chol­o­gy of self-esteem. Los Ange­les, CA: Nash Pub­lish­ing.
  • Clark, N. M., & Gaku­ru, O. N. (2014). The effect on health and self-con­fi­dence of par­tic­i­pa­tion in col­lab­o­ra­tive learn­ing activ­i­ties. Health Edu­ca­tion & Behav­ior, 41, 476–484. doi:10.1177/1090198114549157
  • Druck­man, D., & Bjork, R. A. (Eds.). (1994). Learn­ing, remem­ber­ing, believ­ing: Enhanc­ing human per­for­mance. Nation­al Acad­e­my Press: Wash­ing­ton, D.C., US
  • Glop­pen, K. M., David-Fer­don, C., & Bates, J. (2010). Con­fi­dence as a pre­dic­tor of sex­u­al and repro­duc­tive health out­comes for youth. Jour­nal of Ado­les­cent Health, 46, S42-S58. doi:10.1016/j.jadohealth.2009.11.216.
  • Mann, M., Hos­man, C. M. H., Schaal­ma, H. P., & de Vries, N. K. (2004). Self-esteem in a broad-spec­trum approach for men­tal health pro­mo­tion. Health Edu­ca­tion Research, 19, 357–372. doi:10.1093/her/cyg041
  • Oney, E., & Oksu­zoglu-Guven, G. (2015). Con­fi­dence: A crit­i­cal review of the lit­er­a­ture and an alter­na­tive per­spec­tive for gen­er­al and spe­cif­ic self-con­fi­dence. Psy­cho­log­i­cal Reports, 116, 149–163. doi:10.2466/07.PR0.116k14w0
  • https://fetzer.org/sites/default/files/images/stories/pdf/selfmeasures/Self_Measures_for_Self-Esteem_ROSENBERG_SELF-ESTEEM.pdf
  • Self-con­fi­dence [Def. 1 and 2]. (n.d.). Psy­chol­o­gy Dic­tio­nary. Retrieved from http://psychologydictionary.org/self-confidence/
  • Skenderis, V. M. (2015). Imple­ment­ing a team approach to improve pos­i­tive behav­ioral changes for 9th graders: An action research study. Capel­la Uni­ver­si­ty, Pro­Quest Infor­ma­tion & Learn­ing. UMI num­ber 3705434
  • Stankov, L. (2013). Noncog­ni­tive pre­dic­tors of intel­li­gence and aca­d­e­m­ic achieve­ment: An impor­tant role of con­fi­dence. Per­son­al­i­ty and Indi­vid­ual Dif­fer­ences, 55, 727–732. doi:10.1016/j.paid.2013.07.006
  • Stankov, L. & Lee, J. (2014). Quest for the best non-cog­ni­tive pre­dic­tor of aca­d­e­m­ic achieve­ment. Edu­ca­tion­al Psy­chol­o­gy, 34, 1–8. doi:10.1080/01443410.2013.858908

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