Wie kann man gemeinsam resilienter werden?

06.03.2020, Brun­nen SZ

 

Warum ist das in Zukunft so wichtig?

In der heuti­gen Gesellschaft sind Begriffe wie VUKA Welt, dig­i­tale Trans­for­ma­tion und Agilität weit ver­bre­it­et. Viele Experten sind sich einig, dass der Umgang mit Verän­derun­gen sowohl Flex­i­bil­ität, ver­net­ztes Denken und Han­deln, sowie einen guten Umgang mit Diver­sität erfordert.
All‘ das stimmt. Und doch fällt es uns sehr schw­er, uns in ein­er Welt voller Möglichkeit­en und Verän­derun­gen auf Dauer glück­lich zu fühlen. Es stellt sich häu­fig eine Art Grund-Unzufrieden­heit ein.

 

Warum?

 

In meinem Umfeld pri­vat wie beru­flich, sehe ich häu­fig Sit­u­a­tio­nen, die den unter­ste­hen­den the­o­retis­chen Beispie­len ähn­lich sind:

 

Felix (39 Jahre), ist nach XY umge­zo­gen, weil der ange­botene Job seinem Wun­sch nach Inno­va­tion und nach «etwas Nüt­zlich­es für die Gesellschaft zu leis­ten», entspricht:

 

„Seit ich wegge­zo­gen bin, um den Job im XY Land anzunehmen, füh­le ich mich ein­sam und schaffe es nicht, mich voll­ständig zu inte­gri­eren. Dies, obwohl ich meinen Job mag, viele Hob­bys hier ange­fan­gen habe und die Kol­le­gen auf der Arbeit nett sind. Trotz­dem bleiben meine Beziehun­gen hier recht ober­fläch­lich. Ich sehne mich nach meinen alten Freuden. Sie zu hören reicht mir auf Dauer nicht. Ich kann lei­der hier nicht voll­ständig ich sein.“

 

Elsa (55 Jahre), ist nach der lokalen Restruk­turierung allein geblieben und ihr neues virtuelles Team ist zer­streut auf der ganzen Welt. Elsa hat hohe Ansprüche an sich sel­ber (Qual­ität, Ethik):

 

„Mein Team existiert vor Ort lei­der nicht mehr. Alles hat sich verän­dert. Ich weiss nicht, wie ich alles bewälti­gen kann, ich bin sehr unter Druck. Ich merke, dass meine Arbeit nicht geschätzt wird. Schnelligkeit/Quantität geht vor Qual­ität für’s neue Team. Die Koop­er­a­tio­nen mit meinen virtuellen Kol­le­gen in Asien und USA gestal­tet sich schwierig, denn wir arbeit­en immer zeit­ver­set­zt. Ich kön­nte auch nach Neuem Auss­chau hal­ten, aber ich traue mich nicht. Das wirkt sich auch langsam neg­a­tiv auf mein Pri­vatleben aus, das bis dahin aber meine grösste Stütze war. Zum Glück achte ich gut auf mich, indem ich zumin­d­est noch Sport treibe.“

 

In diesen zwei Beispie­len kann man ver­schiedene Resilienz-Mech­a­nis­men ver­muten, die die bei­den Per­so­n­en bere­its besitzen.
Im ersten Beispiel die Offen­heit für Neues (eine Arbeit im Aus­land) und Ver­net­zung (Hob­bys, Kol­le­gen), sowie Visio­nen und Werte (neuer Job, um eigene Werte zu leben). Im zweit­en Beispiel tiefe Beziehun­gen (Pri­vat-Kon­text als Stütze), Werte (Qualität/Ethik) und Selb­st­für­sorge (Sport). Bei­de kom­men aber mit ihren bish­eri­gen Mech­a­nis­men nicht so erfol­gre­ich weit­er, oder bess­er gesagt, ihr Reper­toire an Mech­a­nis­men ist in ihren Sit­u­a­tio­nen nicht genü­gend vari­iert, um mit den Verän­derun­gen voll­ständig klarzukom­men.

 

Wie sieht es z.B. mit dem Selb­st- und Welt­bild von Felix aus? Hat er eine pos­i­tive Grund­hal­tung zu bei­dem? Was kann er akzep­tieren und was verän­dern an sein­er Sit­u­a­tion? Welche Lösun­gen wären für ihn denkbar, um die alte und die neue Real­ität unter einen Hut zu brin­gen, oder sich weit­erzuen­twick­eln? Selb­streg­u­la­tion; welche Gefüh­le kom­men bei ihm auf, warum und wie kann er sie ev. trans­formieren, damit sie ihm dien­lich sind? Wie kann er dadurch auch tief­ere Bindun­gen im neuen Land einge­hen?

 

Bei Elsa sieht es ähn­lich aus. Real­itäts­bezug; wo sind die Gren­zen für sie und wo fürs virtuelle Team? Was kann sie machen, um sich bess­er abzu­gren­zen? Lern­bere­itschaft; was kann sie Pos­i­tives aus der neuen Sit­u­a­tion gewin­nen? Zukun­fts­gestal­tung; wo sieht sie sich in 1 bis 5 Jahren? Was ist ihr wichtig? Welche Pri­or­itäten haben die ver­schiede­nen Sachen/Werte? Usw.

 

Jed­er von uns hat in seinem Leben Verän­derun­gen gemeis­tert. Oft haben wir einen präferierten Zugang zu bes­timmten Methoden/Denkmustern/Handlungen, wie wir diese Verän­derun­gen meis­tern.
Nur wird es immer mehr Sit­u­a­tio­nen geben, die von uns eine höhere Hand­lungs­flex­i­bil­ität ein­fordern, als wir bis dahin gewohnt waren. Wer vor allem durch Ver­net­zung bis­lang mit Verän­derun­gen klar kam, dem kann der Sinn ein­er Hand­lung plöt­zlich abhan­denkom­men. Wer durch seine Werte bis­lang immer Erfolg geern­tet hat, kann in einem anderen Kon­text sich nicht wert­geschätzt fühlen und seine Gren­zen nicht wahren, weil er die neue Real­ität ver­leugnet. Speziell Aussen­ste­hende, vor allem Führungskräfte im Arbeit­skon­text, kön­nen ihre Mitar­beit­er unter­stützen, in dem sie sie zum Reflek­tieren ani­mieren und ihnen wertschätzende Impulse für eine Lösungs­find­ung liefern. Es geht nicht darum ihnen aufzuzeigen was die Lösung ist, son­dern was der Mitar­beit­er bere­its gut macht und was er noch aus­pro­bieren kön­nte. Der Mitar­beit­er sel­ber sucht nach sein­er Lösung.

 

In dieser Welt voller Verän­derun­gen muss jed­er von uns und vor allem Führungskräfte den Mut auf­brin­gen, mit dem Ungewis­sen und Undefinierten zu arbeit­en. Ein Ziel kann viele Wege bein­hal­ten und selb­st das Ziel kann je nach verän­dertem Kon­text vari­ieren. Net­zw­erken (als Hand­lung) und Diver­sität erhöhen die Chance eines jeden, von anderen zu ler­nen wie man „auch noch“ ein bes­timmtes Ziel erre­icht, oder ein bes­timmtes Prob­lem lösen kann. Demut, Lern­bere­itschaft und Kon­tak­t­freude kön­nen somit helfen, neue Resilienz Mech­a­nis­men zu erler­nen und erfol­gre­ich Verän­derun­gen zu meis­tern.

 

Es gibt diverse Büch­er zum The­ma Resilienz-Train­ing, ver­standen als Train­ing für die erlernte Resilienz.
Ein Beispiel ist „Micro-Imputs Resilienz“ vom Amann und Egger (2017).
Hier wer­den fol­gende Mech­a­nis­men oder Kom­pe­ten­zfelder der erlern­ten Resilienz in den Fokus gestellt:

 

  • Impro­vi­sa­tionsver­mö­gen und Lern­bere­itschaft
  • Opti­mis­mus, pos­i­tives Selb­st- und Welt­bild
  • Akzep­tanz und Real­itäts­bezug
  • Lösung­sori­en­tierung und Kreativ­ität
  • Selb­streg­u­la­tion und Selb­st­für­sorge
  • Selb­stver­ant­wor­tung und Gestal­tungskraft
  • Beziehungs­gestal­tung und Net­zw­erkpflege
  • Zukun­fts­gestal­tung, Visio­nen, Werte

 

Dazu gibt es Übun­gen und Denkanstösse. In meinen Augen reicht aber schon das Bewusst­sein für diese Vielfalt an Mechanismen/Kompetenzfelder und eine wohlwol­lende Coach­ing-Hal­tung, um Men­schen Impulse zu geben für ihre Lösungssuche.

 

Wichtig ist dabei, vor allem als Führungskraft, dass man seine Selb­st­wahrnehmung gut mit der Fremd­wahrnehmung des Gegenübers abstimmt. Es kann sein, dass bes­timmte The­men oder Sit­u­a­tio­nen einen unbe­wusst emo­tion­al mit­nehmen und/oder bee­in­flussen. Soge­nan­nte Über­tra­gung- und Gegenüber­tra­gungsef­fek­te, oder Halo­ef­fek­te usw. kön­nten die Coach­ing-Hal­tung in den Mitar­beit­er-Gesprächen bee­in­flussen (siehe Def­i­n­i­tion der Effek­te am Ende des Beitrages). Wenn man diese Effek­te bei sich erken­nt, kann man sie kri­tisch hin­ter­fra­gen (was ist bei mir, was bei der anderen Per­son) und so wieder ver­suchen, unvor­ein­genom­men gegenüber dieser Per­son zu sein.

 

Wie ihr meinen vor­ange­gan­genen Zeilen ent­nehmt, ist die Suche nach Resilienz eigentlich eine Win-Win Sit­u­a­tion. Jed­er lernt Facetten und Mech­a­nis­men vom anderen, die er sel­ber ev. noch nicht genü­gend ver­wen­det. Somit sind Führungskraft und Mitar­beit­er eigentlich „gemein­sam“ am Ler­nen und Suchen.

 

Und das bringt mich zum let­zten Punkt. Warum, trotz ein­er Fülle an Möglichkeit­en, die sich eben­falls auf­tun kön­nen bei Verän­derun­gen, und trotz gewis­sen Fähigkeit­en mit schwieri­gen Sit­u­a­tio­nen umzuge­hen, sind wir unzufrieden?

 

Die Band­bre­ite an Resilienz Mech­a­nis­men ist nur ein Fak­tor. Der Men­sch, siehe „Big 5 Per­sön­lichkeit­stest“ in einem vorheri­gen Beitrag dieser Serie, hat ein gewiss­es Bedürf­nis an Sta­bil­ität. Einige Men­schen mehr, einige weniger. Wenn sich ständig das „Sys­tem“ ändert in dem wir agieren (neue Arbeit, neues Team, neues Umfeld, neue Bedin­gun­gen auf der Arbeit oder im Pri­vat­en), bedeutet das meist Dis­tress für uns. Der Höh­len­men­sch hat sich in Grup­pen zusam­menge­tan, um bess­er jagen zu kön­nen. Er hat aber nicht ständig Jagdgenossen oder Meth­o­d­en verän­dert. Wenn etwas gut gelang, hat er es so weit­ergemacht. Und so funk­tion­iert unser Gehirn noch heute. Wir ver­trauen Men­schen und brauchen eine gewisse Sta­bil­ität, um uns „sich­er“, gut aufge­hoben und zufrieden zu fühlen. Lei­der sind „Sys­teme“ heutzu­tage nicht mehr von ein­er lan­gen Sta­bil­ität gekennze­ich­net. Kon­texte, Grup­pen, Sit­u­a­tio­nen verän­dern sich ras­ant schnell. Was also kann uns zusät­zlich zu den Resilienz Mech­a­nis­men Sta­bil­ität ver­lei­hen?
Da Verän­derun­gen uns vor allem stark emo­tion­al bee­in­flussen… konzen­tri­ert sich die Suche nach Antworten auch eher auf der Emo­tion­sebene.
Mögliche Antworten sind:

 

  • Tiefe, sta­bile Bindun­gen, die trotz Dis­tanz und Zeit beste­hen bleiben
  • Kon­struk­tives und wertschätzen­des Ver­hal­ten haben und erfahren
  • Echtheit und sich trauen, sich so zu zeigen, wie man ist (trotz Ver­let­zlichkeit)

 

Jed­er von uns ken­nt die obi­gen Punk­te aus seinem eige­nen Leben… meist aber denkt man dabei automa­tisch an ver­gan­gene Sit­u­a­tio­nen oder an langjährige Berufs- oder Pri­vat-Beziehun­gen. Was aber, wenn man obige Punk­te ver­sucht auch in neuen Kon­tex­ten, mit neuen Men­schen, Teams, Sit­u­a­tio­nen anzuwen­den? Wenn man Vorschuss-Ver­trauen schenkt, eine wertschätzende Hal­tung ein­nimmt, sich ver­sucht ohne Maske zu zeigen (mit allen Facetten von sich selb­st) und Bindun­gen zulässt?

 

Das erfordert viel Mut. Und klar­erweise wird man nicht nur Erfolge damit ern­ten. Jedoch kann man damit viel gewin­nen. Denn dadurch fällt es leichter gewapp­net zu sein für Verän­derun­gen und sich sta­bil­er auf Dauer zu fühlen, in dem man sich in neuen Sys­te­men, schneller zurechtfind­et. Vor allem im Falle der Führungskräfte kann man dadurch ein­fach­er als kon­gru­ente Per­sön­lichkeit wahrgenom­men wer­den, Men­schen inspiri­eren und so gemein­sam mit dem Team etwas auf­bauen, das trotz stetiger Verän­derung nach­haltig und solide ist.

 

Was kennze­ich­net eure Resilienz aus? Und was denkt ihr zu diesem The­ma?

 

Eure Cori­na

Glos­sar:

 

Über­tra­gung und Gegenüber­tra­gung:

Der Begriff der Über­tra­gung stammt aus der Tiefenpsy­cholo­gie, ins­beson­dere der Psy­cho­analyse. Er beze­ich­net dort den Vor­gang, dass ein Men­sch alte – oft­mals ver­drängte – Gefüh­le, Affek­te, Erwartun­gen (ins­beson­dere Rol­len­er­wartun­gen), Wün­sche und Befürch­tun­gen aus der Kind­heit unbe­wusst auf neue soziale Beziehun­gen überträgt und reak­tiviert

 

Hier richtet der Klient bes­timmte Gefüh­le, Erwartun­gen oder Wün­sche auf seinen Coach/Therapeuten, die nicht so sehr dem Coach/Therapeuten als Per­son gel­ten, son­dern als Gefüh­le eigentlich aus früheren Beziehungser­fahrun­gen des Klien­ten her­rühren. Umgekehrt kann auch der Coach/Therapeut Gefüh­le auf seinen Klien­ten über­tra­gen; dieser Vor­gang wird Gegenüber­tra­gung genan­nt. Der­ar­tige Vorgänge kön­nen ein Hemm­nis des Coach­ing-/Ther­a­pie Prozess­es darstellen. (Wikipedia)

 

Halo-Effekt:

Der Halo-Effekt wurde erst­mals 1907 von Fred­er­ic L. Wells beobachtet. Der Ter­mi­nus wurde im 20. Jahrhun­dert von Edward Lee Thorndike einge­führt.

Unter dem Effekt wird die Ten­denz ver­standen, fak­tisch unab­hängige oder nur mäßig kor­re­lierende Eigen­schaften von Per­so­n­en oder Sachen fälschlicher­weise als zusam­men­hän­gend wahrzunehmen. Einzelne Eigen­schaften ein­er Per­son (z. B. Attrak­tiv­ität, Behin­derung, sozialer Sta­tus) erzeu­gen einen pos­i­tiv­en oder neg­a­tiv­en Ein­druck, der die weit­ere Wahrnehmung der Per­son „über­strahlt“ und so den Gesamtein­druck unver­hält­nis­mäßig bee­in­flusst. (Wikipedia)

 

Teufelshörn­er-Effekt

Beim Teufelshorn-Effekt reicht zuweilen schon eine einzige (neg­a­tive) Eigen­schaft, ein einziges falsches Wort, ein sim­pler ver­patzter erster Ein­druck – schon neigen wir dazu, unserem Gegenüber auch in anderen Bere­ichen Defizite zu unter­stellen. Jede Aus­sage wird dann auf die Gold­waage gelegt und anders aufgenom­men als sie vielle­icht gemeint ist. (www.karrierebibel.de)

Ref­eren­zen:

 

Amann, Gabriele, Egger, Anna (2017). Micro-Inputs Resilienz. Lebendi­ge Mod­elle, Inter­ven­tio­nen und      Visu­al­isierung­shil­fen für das Resilienz-Coach­ing und ‑Train­ing. Bonn: Man­ag­er Sem­i­nare Ver­lag.

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